Eine freischwingende Unruhspirale (auch »frei gefedert«, englisch: »free-sprung«) bezeichnet ein Reguliersystem bei mechanischen Uhren, bei dem die Ganggenauigkeit ausschließlich durch das Verstellen von Massegewichten oder -schrauben an der Unruh selbst reguliert wird – der sonst verbreitete Rücker zur Längenverstellung der Spirale entfällt komplett.

Der überlange Rückerzeiger eines IWC-Taschenuhrwerks ist charakteristisch für das sogenannte Jones-Kaliber.

Der überlange Rückerzeiger eines IWC-Taschenuhrwerks ist charakteristisch für das sogenannte Jones-Kaliber.

Bei traditionellen »Rücker-Systemen« wird die wirksame Länge der Spirale durch einen Rücker eingestellt, der das äußere Ende der Spirale zwischen zwei Stiften hält. Dadurch lässt sich die Ganggeschwindigkeit regulieren. Bei der freischwingenden Unruhspirale hingegen bleibt die Spiralenlänge unverändert; stattdessen werden kleine Masseschrauben auf dem Unruhreif verschoben, um das Trägheitsmoment und somit die Schwingungsfrequenz direkt zu verändern. Die Spirale bleibt ungestört und kann isochroner schwingen, da sie nicht durch einen Rücker begrenzt wird.

Das Co-Axial-Kaliber Omega 9900 besitzt zwei Federhäuser und erreicht eine Gangautonomie von 90 Stunden.

Die Co-Axial-Kaliber von Omega besitzen freischwingende Unruhen, deren Präzision über Regulierschrauben justiert werden. .

Dieses System wird bevorzugt bei hochwertigen Uhrwerken eingesetzt, so etwa von A. Lange & Söhne (Schrauben- und Exzenterunruh), Omega (alle Kaliber mit Co-Axial-Hemmung), Patek Philippe (Gyromax), Rolex (Microstella) und weiteren Marken mit hohem Anspruch an die Chronometrie. Die Reglage über Masseträgheit bietet Vorzüge bei der Gangstabilität, allerdings kann sie im Gegensatz zu einer Rückerlösung nach dem Einbau der Unruh nicht mehr von außen verändert werden.

Patek Philippe: Gyromax

Die Gyromax wurde 1951 von Patek Philippe eingeführt und bezeichnet deren rückerlose, freischwingende Feineinstelllösung für das Trägheitsmoment der Unruh.

Das Patek Philippe Kaliber 240 HU mit einer Gyromax-Unruh.

Das Patek Philippe Kaliber 240 HU mit einer Gyromax-Unruh.

Die Gyromax verfügt über spezielle, asymmetrische Regulierscheiben am Unruhreif. Diese lassen sich drehen, sodass die Masse entweder näher zum Unruhzentrums (schnellere Schwingung) oder weiter nach außen wandert (langsamere Schwingung). Da die typischen Außenschrauben entfallen, kann die Unruh bei Gyromax besonders groß gebaut werden – was die Präzision steigert, da eine größere Unruh schwankungsärmer läuft.

Rolex: Microstella

1957 präsentierte Rolex die Microstella-Schrauben, mit deren Hilfe sich ebenfalls das Trägheitsmoment der Unruh einstellen lässt. Die winzigen, sternförmigen Komponenten sind in Bohrungen an der Innenseite des Unruhreif eingeschraubt. Die Reglage erfolgt über einen speziellen Microstella-Schlüssel.

Seit 1983 bestehen die sternförmigen Komponenten aus Gold.

Seit 1983 bestehen die sternförmigen Komponenten aus Gold.

Dieses Uhrmacherwerkzeug wurde speziell für die Justierung der Microstella-Masseschrauben an Rolex-Unruhen entwickelt. Das Werkzeug greift genau auf den sternförmigen Kopf der Microstella-Schrauben und ermöglicht die gangfeine Verstellung des Trägheitsmoments der Unruh. Durch Hineindrehen (Schraube nach innen) läuft die Uhr schneller, durch Herausdrehen (nach außen) langsamer.

A. Lange & Söhne: Schrauben- und Exzenterunruh

Bei der Neugründung der Marke A. Lange & Söhne im Jahr 1990 durch Walter Lange und Günter Blümlein setzte die Manufaktur von vorneherein auf ein rückerloses System mit Schraubenunruh.

Die Schraubenunruh von A. Lange & Söhne mit Masse- und vier Regulierschrauben.

Die Schraubenunruh von A. Lange & Söhne mit Masse- und vier Regulierschrauben.

Vier ihrer Schrauben sind regulierfähig. Dreht man sie nach innen, verringert sich das Trägheitsmoment der Unruh, und sie schwingt schneller. Dreht man die Schrauben hingegen nach außen, so wird die Unruh langsamer. Die ab Ende der 1990er Jahre sukzessive eingeführte Exzenterunruh besteht aus einem großen Unruhreif, ausgestattet mit mehreren speziell geformten asymmetrischen Regulierschrauben an der Innenseite.

Das Kaliber L951.7 von A. Lange & Söhne besitzt eine Unruh mit sechs Exzentern.

Das Kaliber L951.7 von A. Lange & Söhne besitzt eine Unruh mit sechs Exzentern.

Für die Regulierung wird jeder Exzenter mit Spezialwerkzeug so verdreht, dass seine schwerste Stelle näher an den Unruhmittelpunkt (beschleunigt die Unruh) oder weiter weg (verlangsamt die Unruh) wandert. Seit 2003 kombiniert A. Lange & Söhne überdies seine Unruhen mit Spiralen aus eigener Fertigung.

Omega: Das Spirate-System

Im Jahr 2023 lancierte Omega mit der Omega Speedmaster Racing eine überarbeitete Siliziumspirale aus Si14 mit einem neu entwickelten exzentrischen Feinreguliermechanismus.

Omega Speedmaster Super Racing

Die Omega Speedmaster Racing besitzt eine S114-Silizium-Spirale mit Feinverstellung.

Die klassische Si14-Siliziumspirale verwendet freie Endkurven und wird in Omega-Werken typischerweise freischwingend montiert. Die Gangregulierung erfolgt vor allem über die Feineinstellung der Masseverteilung an der Unruh, meist mit regulierbaren Schrauben oder Gewichten.

Omega Speedmaster Super Co-Axial-Kaliber 9920

Das Spirate-System lässt sich mit einem Spiralschlüssel vom Uhrmacher regulieren.

Beim Spirate-System handelt es sich um eine zum Pate»t angemeldete, weiterentwickelte Si14-Siliziumspirale, die über eine zusätzliche flexible „Blade« (Federklinge) mit einem exzentrischen Feinregulier-Mechanismus auf der Unruhbrücke verfügt.​ Die Regulierung erfolgt nicht durch Massenverteilung an der Unruh, sondern direkt über eine reversible Verformung der federnden Klinge am Befestigungspunkt der Spirale, gesteuert durch einen Aktivator (Feinregulierschraube: »Snail Cam«).

Diesen Beitrag teilen: