Das schmiedeeiserne Tor und die beiden plätschernden Barockbrunnen verabschieden uns am frühen Montagmorgen aus dem noblen Taschenbergpalais. Wir treten hinaus in die spätsommerliche Morgensonne und der Blick schweift kurz hinüber zur Semperoper. Doch kein Verharren, unsere Fahrer warten und bringen uns in einer knappen Stunde Fahrt über Land in das enge Tal der Müglitz. Dabei geht die Fahrt bequem vonstatten und führt uns an der Uferstraße entlang. Als Ferdinand Adolph Lange 1845 von Dresden nach Glashütte aufbrach, musste er noch die Höhenwege nutzen. Die Fahrt dauerte rund zweieinhalb Stunden. Der Anblick aus den Höhen auf das kleine Städtchen würde er nicht wiederkennen. Entlang der sogenannten Uhrenmeile reihen sich die Neubauten der Manufakturen A. Lange & Söhne, Glashütte Original, Tutima Glashütte, Mühle Glashütte und Wempe Glashütte wie an einer Perlenkette aneinander.
Tutima Glashütte
In der alten Bahnmeisterei hat Tutima seine Werkstatt aufgeschlagen. Uns begrüßt Alexander Philipp, Leiter der Manufaktur. Er erläutert uns, dass Tutima von dem lateinischen Wort »tutus« abgeleitet ist und so viel wie »sicher, geschützt« bedeutet. Als in den 1920er Jahren Dr. Ernst Kurtz im Auftrag der Sächsischen Girokasse wie Deutsche Uhrenfabrik (UFAG) und die Deutsche Rohwerkefabrik (UROFA) gründete, um mit der industriellen Fertigung von Armbanduhren zu beginnen, bezeichnete er mit »Tutima« die höchste Güteklasse seiner Produktion.
Im Jahr 1945 flüchtete Dr. Kurtz nach Bayern und zog später nach Ganderkesee bei Bremen. Tutima erwarb sich in Westdeutschland einen Namen und stattet bis heute die Bundeswehr und die NATO mit Fliegerchronographen aus. 2008 begann die Verlagerung der Produktion zurück nach Glashütte. Heute gehören neben den »Grand Flieger«-Fliegeruhren sportliche Uhren unter der Bezeichnung »Saxon One« und »M2« ebenso in das Programm wie die klassische Linie »Patria« mit Manufakturwerken. Im Jahr 2013 präsentierte Tutima mit der »Hommage Minute Repeater« die erste Minutenrepetition in einer Armbanduhr aus Glashütte. In diesem Jahr ist die Patria mit lackiertem blauem Zifferblatt Manufakturhandaufzugwerk und Edelstahlgehäuse das gefragteste Modell.
Mühle Glashütte
Der Ursprung liegt im Jahr 1869, als Robert Mühle eine Firma gründet, die Messinstrumente für die Uhrenindustrie fertigt. In den 1920er Jahren baut man Tachometer, Drehzahlmesser und Borduhren für die Autoindustrie. Mit dem Jahr 1945 erfolgt die Enteignung und Zerschlagung der Firma. Hans Mühle, ein Enkel, gründet ein neues Unternehmen. Dieses ist auf 60 Mitarbeiter angewachsen, als es Hans-Jürgen Mühle 1970 übernimmt. Zwei Jahre später findet er sich – nach der Verstaatlichung seines Betriebes – als sozialistischer Betriebsleiter in seiner eigenen Firma, nunmehr als Angestellter wieder. 1980 wird das Unternehmen in die VEB Glashütter Uhrenbetrieb (GUB) eingegliedert.
Doch es gelingt ein Neuanfang. Zunächst findet die Firma mit Schiffschronometern den Anschluss an den Weltmarkt, daher der Zusatz »Nautische Instrumente«. 1996 beginnt die Produktion von Armbanduhren. Diese verfügen mit der sogenannten Spechthalsregulierung über eine besondere robuste Feinstellung der Genauigkeit. Eine Eigenschaft, die besonders beim S.A.R. Rescue Timer gefragt ist, der auf Seenotrettungskreuzern zum Einsatz kommt. Verabschiedet werden wir mit einer Armbanduhr. Allerdings in wohlproportionierten Stücken, da sie aus einer köstlichen, eigens angefertigten Torte besteht und einen blauen Rotor trägt. Den im Jahr des 150. Firmengeburtstages besitzen alle Mühle-Rotoren diese blaue Veredelung.
Wempe Glashütte
Auf der anderen Seite der Müglitz führt ein schmaler, steiler Weg auf den Ochsenkopf. Hier befinden sich Wempe Glashütte und die Deutsche Chronometerprüfstelle in der Sternwarte Glashütte. Sie wurde im Jahr 1910 von der Uhrmachervereinigung Urania in Betrieb genommen, um ein verbindliches Zeitsignal als Referenz zu erhalten. Ende der 1930er-Jahre gründeten Otto Lange, Enkel von Ferdinand A. Lange, und Herbert Wempe, Inhaber der Wempe Chronometerwerke, gemeinsam die Arbeitsgemeinschaft »Sternwarte Glashütte«, um eine Forschungs- und Ausbildungsstätte zu eröffnen.
Der Krieg verhinderte das Projekt, die Alliierten lösten die Vereinigung auf und im geteilten Deutschland geriet die Sternwarte in Vergessenheit. Im Jahr 2005 erwarb Kim-Eva Wempe das völlig verwahrloste Gebäude und ließ es von Grund auf renovieren. In der bereits zweimal erweiterten Produktionsstätte werden die Zeitmeister- wie die Chronometerwerke-Kollektion von Wempe gefertigt. Auch die Ausbildung aller Wempe-Uhrmacher findet hier statt. Astronomische Beobachtungen lassen sich unter der Kuppel ebenfalls anstellen, leider verhinderten die dichten Wolken den Blick in das Sonnengestirn. Ganz irdische Aufgaben werden im Keller des Hauptgebäudes bewältigt. Hier befindet sich die einzige Chronometerprüfstelle Deutschlands. In großen, klimatisierten Geräteschränken werden alle Uhren zertifiziert, welche eine besondere Ganggenauigkeit nachweisen konnten.
Deutsches Uhrenmuseum Glashütte
Museumsdirektor Reinhard Reichel begrüßt die Gruppe im Foyer vor der berühmten Görtz-Standuhr. Dieses Kunstwerk zeigt außer der mitteleuropäischen Zeit auch Tage, Wochen, Monate und das Jahr an. Ablesen kann man auch Auf- und Untergang von Sonne und Mond über Mondzeiten, Sternbilder und Tierkreiszeichen.
Sie steht symbolisch für die Glashütter Präzisionuhrmacherei wie für den international hohen Standard, der an der Glashütter Uhrmacherschule, in deren Räumlichkeiten das Museum sich befindet. Im Obergeschoss findet derzeit die Sonderausstellung zu 150 Jahre Mühle Nautische Instrumentestatt, die mit fünf integrierten Laubbäumen und einem Schiffsbug die Geschichte der Familie Mühle und ihrer Firma eindrucksvoll Revue passieren lässt. Zurück im Taschenbergpalais beenden wir den Tag mit einem gemeinsamen Abendessen mit Vertretern alles besuchten Firmen und mit Gästen der Manufakturen von Glashütte Original und A. Lange & Söhne, deren Besuch am nächsten Tag auf dem Programm steht.
Wer mich einmal auf einer Leserreise mit dem UHREN-MAGAZIN begleiten möchte: Die Termine für das kommende Jahr stehen schon fest. Die Reise in die Schweiz findet vom 15. bis 17. Juni statt. Und nach Glashütte führt uns der Weg wieder vom 14. bis 15. September. Weitere Informationen bei Bettina Rost rost@ebnermedia.de oder unter +49 (0)731/1520-139
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