Die wichtige Rolle von Moritz Grossmann bei der Begründung der Glashütter Uhrmachertradition ist wenig bekannt. Er steht im Schatten von Ferdinand Adolph Lange. Dieser gründete seine Manufaktur 1845. Neun Jahre später holt er seinen langjährigen Freund und Weggefährten Moritz Grossmann ins Erzgebirge und ermutigte ihn, dort eine eigene mechanische Werkstätte zu gründen, aus der bald auch eine Uhrenmanufaktur wurde.
Carl Moritz Grossmann wird am 27. März 1826 in Dresden geboren, sein Vater ist Briefsortierer beim königlichen Hofpostamt in Dresden. Moritz wächst in bescheidenen Verhältnissen auf, doch erkennen seine Lehrer anhand seiner exzellenten schulischen Leistungen, dass in ihm wohl eine außerordentliche Begabung schlummert. Er erhält eine sogenannte »Freistelle« und studiert – wie Jahre vorher Ferdinand Adolph Lange – zwei Jahre lang an Dresdens Technischer Bildungsanstalt, dem Vorläufer der heutigen Technischen Universität. Im Jahr 1842 beginnt Grossmann eine Lehre als Uhrmacher, die er aufgrund seines Talents vorzeitig beenden darf. Nebenbei lernt er Englisch, Französisch und Italienisch. Während dieser Zeit befreundet sich Grossmann mit dem elf Jahre älteren Uhrmacher Lange.
Seine Wanderschaft führt Moritz Grossmann 1847 zunächst zum Chronometermacher Moritz Krille nach Altona, dann zum Hofuhrmacher Josef Bierganz nach München. Wenig später zieht es ihn in die Schweizer Uhrenmetropole La Chaux-de-Fonds, nach England, Dänemark und Schweden. Erst 1854 kehrt er nach Dresden zurück, kurze Zeit später geht er in das 30 Kilometer entfernte Glashütte. Er entwickelt dort eine kleine Drehbank für Uhrmacher, den sogenannten »Glashütter Drehstuhl«. Später konzentriert er sich auf den Ankergang der Uhren und die optimale Konstruktion der Chronometerwippe. Er fertigt Präzisionswerkzeuge, Gangmodelle, feine Taschenuhren, Präzisionspendeluhren und Seechronometer. Die Vielzahl der Aufgaben, denen sich Grossmann widmet, ist nicht ohne hochqualifizierte Mitarbeiter zu bewältigen. Er schafft es, ein Spezialistenteam mit den Uhrmacher-Koryphäen Ludwig Strasser und Carl Maucksch an sein Atelier zu binden.
Moritz Grossmann gründet die Deutsche Uhrmacherschule
Das lässt ihn Zeit gewinnen, um sein Wissen auch weiterzugeben. Er hält Vorträge, schreibt für in und ausländische Fachzeitschriften und übersetzt Fachbücher wie beispielsweise Claudius Sauniers mehrbändiges Standardwerk »Lehrbuch der Uhrmacherei«. I, Jahr 1866 gewinnt Grossmann in London als erster Deutscher überhaupt einen vom British Horological Institute ausgeschriebenen Wettbewerb mit dem Werk »On the detaches lever escapement« (deutscher Titel »Der freie Ankergang«). 1876 wird er Abgeordneter im Sächsischen Landtag.
Er initiiert, konzipiert und gründet 1878 die Deutsche Uhrmacherschule in Glashütte, wird ihr erster Aufsichtsratsvorsitzender und findet noch Zeit, dort als Lehrer für Mathematik und Sprachen zu wirken. Grossmann stirbt nach seinem Vortrag über die »Einführung der Weltzeit« am 23. Januar 1885 in Leipzig an einem Gehirnschlag. Nach seinem plötzlichen Tod wird seine Glashütter Manufaktur aufgelöst.
Sehr geehrter Herr Wanka,
ich finde es immer wieder traurig, dass sich Tatsachen unglaublich schwerer durchsetzen als einmal veröffentlichte Mythen.
Für die immer wieder behauptete frühe Freundschaft zwischen Grossmann und Lange gibt es keinen Beleg. Es existiert aber ein handgeschriebener Lebenslauf von Grossmann, in dem er seine Rückkehr 1848 nach Dresden beschreibt: „Zuvor besuchte ich noch einmal die Meinigen auf einige Wochen. Während dieser Zeit nahm ich auch die Anfänge der Uhrenfabrikation in Glashütte in Augenschein & ging auf ein Anerbieten Herrn Lange´s, einen Platz in seiner Fabrik anzunehmen, ein, da meine Eltern & Geschwister dies sehr wünschten.“
Das klingt nicht so, als habe zu diesem Zeitpunkt schon eine Freundschaft bestanden.
Die fehlerhafte Darstellung seiner Vita findet dann ihre Fortsetzung in der Beschreibung seiner weiteren Wanderschaft. Auch hierzu findet man in seinem Lebenslauf eine ganz andere Darstellung.
Er hat etwa 7 Monate, von Ende 1848 bis Mitte 1849 bei Lange in Glashütte gearbeitet und wurde dann wieder zum Militärdienst eingezogen. Im nächsten Jahr ist er zur Reserve entlassen und mit Urlaub zu Biergans nach München und anschließend nach La Chaux de Fonds gegangen. Im Winter 1850 schon wieder zurückberufen und bald entlassen, arbeitete er dann in Glashütte. Dabei lernte er seine erste Frau kennen, die er im Januar 1855 heiratete. Zuvor, nämlich ab Herbst 1853 reiste er nach London, wo er ca. ein Jahr blieb. Seine Rückreise beschreibt er so:“ Meine Rückreise machte ich über Hamburg, Kopenhagen, Gothenburg [Göteborg], & von da auf dem [Göta-] Kanal nach Stockholm. Nachdem ich 4 Wochen in Schweden verweilt hatte, kehrte ich über Stettin & Berlin zurück“
Nun könnte man meinen, das unterstreicht Ihre eingangs gewählten Worte, was die Bedeutung von Grossmann für die Entwicklung der Uhrenindustrie in Glashütte ausmacht. Dabei steht eine ganz andere Person vollkommen zu Unrecht im Schatten von Adolph Lange. Ich wage zu behaupten, ohne diese Person wäre Lange in den ersten Jahren möglicherweise gescheitert.
Ich verweise hierzu auf meinen ausführlichen Artikel über Schneiders Lebenswerk. Sie finden ihn unter dem Titel „Adolf Schneider an der Seite von Adolph Lange“ in der ChronoHype Nr.11 unter https://uhren-muser.de/chronohype
Ohne dass ich die unzweifelhaften Verdienste von Grossmann in Abrede stellen will, hätte es aber bei einem Scheitern von Lange in den ersten Jahren die spätere Entwicklung in Glashütte nicht gegeben. Somit gebührt neben Lange vor allem Schneider der Verdienst, was leider viel zu selten bekannt ist.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Peter