Manche Veränderungen sind erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennbar. Von außen erscheint mir die Chronometrie von Breitling in Grenchen unverändert. Mit dem Manufakturgebäude ergeht es mir wie mit den Uhrenmodellen von Breitling. Äußerlich unverkennbar, aber im Innern völlig erneuert. So ist es höchste Zeit, wieder einmal einen Blick in das Gebäude zu werfen, in dem mittlerweile die Manufakturwerke der Chronographen entstehen. Der Schriftzug im Eingangsbereich findet sich schon deswegen so oft im Netz und in der Presse abgebildet wieder, weil im Inneren der Breitling Chronometrie Fotoaufnahmen streng verboten sind. Dabei wurde schon bei der Errichtung des Gebäudes im Jahr 2001 viel Wert auf die Gestaltung gelegt. Die Fotos hiervon stammen vom Hersteller.

Zahlreiche Kalibervarianten des Chronographenwerkes

Die Anforderungen an die Logistik zum Zusammenbau eines aus 346 Einzelteile bestehenden Chronographen sind von Haus aus beachtlich.

Vom Breitling-Manufakturchronographen B01 existieren mittlerweile zehn Varianten. Mit diesem selbst entwickelten Chronographenwerk erlangte Breitling im Jahr 2009 – anlässlich des 125-jährigen Bestehens – den begehrten Status als Manufaktur. Und den förmlichen Ritterschlag erhielt das automatische B01 im Jahr 2017, als auf der Baselworld bekannt wurde, dass auch die Rolex-Tochter Tudor das B01 zu seinem Chronographenwerk auserkoren hatte, wo es fortan als MT5813 firmiert. Umgekehrt erhält Breitling Zugriff auf das im Jahr 2015 präsentierte Dreizeiger-Manufakturwerk MT5601 von Tudor. Es firmiert bei Breitling als Kaliber B20. Beide Varianten des Chronographenwerkes von Breitling werden in der Chronometrie in La Chaux-de-Fonds gefertigt. Das Tudormodell wird ergänzt um eine Unruhbrücke und eine Siliziumspirale sowie mit einem 45-Minutenzähler versehen.

In der Breitling-Chronometrie werden ausschließlich Chronometer gefertigt

Der nächste Weg beider Varianten führt zur COSC. Diese Schweizer Chronometerprüfstelle kontrolliert in einem 15-tägigen Test in verschiedenen Lagen und bei unterschiedlichen Temperaturen die Ganggenauigkeit der Werke. Erst dann darf sich eine Uhr Chronometer nennen. Seit 1999 durchlaufen alle mechanischen Breitling-Uhren die COSC-Prüfung, seit 2001 auch alle elektronischen Uhren. Nur fünf Prozent aller Schweizer Werke besitzen eine Chronometerprüfung. Nach bestandener Prüfung kommen die als Chronometer zertifizierten Werke wieder nach La Chaux-de-Fonds zurück und werden in der Breitling Chronometrie eingeschalt. In der Chronometrie entstehen die sogenannten »Köpfe«, also die eigentlichen Uhren. Die Bänder werden in Grenchen nach Kundenwunsch ergänzt und ausgeliefert. In La Chaux-de-Fonds arbeiten etwas über 200 Personen, in Grenchen sind es über 240 und Breitling beschäftigt in der gesamten Schweiz knapp unter 500 Mitarbeiter.

UNESCO-Weltkulturerbe La Chaux-de-Fonds

La Chaux-de-Fonds ist eine Großstadt auf über 1.000 Höhenmetern und zählt wegen ihrer Ausrichtung auf die Uhrmacherei zum UNESCO-Weltkulturerbe. Der quadratische Grundriss ist darauf ausgerichtet, den Uhrmachern auch im Winter möglichst viel Tageslicht zukommen zu lassen. Denn die Bauern in dieser armen Gegend waren auf den Zuerwerb in den langen Winter angewiesen. Dann fertigten sie in ihren kleinen Werkstätten, meist am Fensterbrett, Kleinteile für die Uhrenindustrie. Unterstützung fanden sie durch die handwerklich begabten Hugenotten, welch ab 1685 nach dem Edikt von Nantes als Religionsflüchtlinge aus Frankreich die Uhrenindustrie im Jurabogen zu ungeahnter Blüte brachten.

Ein Chronograph von Breitling ermittelt den ersten Geschwindigkeitsverstoß

1915 präsentierte Breitling den ersten Chronographen mit separatem Drücker. Der erste in der Schweiz offiziell geahndete Geschwindigkeitsverstoß wurde mit einem Breitling-Chronographen ermittelt. Das erste Gebäude am heutigen Produktionsstandort entstand im Jahr 2001. Es gehörte dem Chronographenspezialisten Kelek. Dieser Zulieferer von Breitling bot auch unter eigenem Namen Uhren an. Er wurde im gleichen Jahr übernommen. Im Jahr 2008 erfolgte eine erhebliche Erweiterung der Produktionsstätte, um das B01 hier fertigen zu können. Mittlerweile umfasst die Chronometrie 4.000 Quadrameter auf vier Etagen.

Die Logistik und ein kleines Museum mit historischen Modellen befinden sich im vierten Stock. Hier überprüft die Qualitätssicherung 1.600 unterschiedliche Einzelteile von über 40 Zulieferern, allein für das B01. Fünf Personen befassen sich in der Entwicklung mit neuen Werken. Von der ersten Zeichnung eines Entwurfes bis zum computergenerierten Konstruktionsplan – mit allen Toleranzen und Produktionsdaten. Auch die Prototypenfertigung und der Werkzeugbau befinden sich im Haus. Diese werden im hauseigenen Labor auf Herz und Nieren geprüft. Besonders spektakulär ist der 5.000-g-Test. Ein an seinem Stil fixierter Hammer mit Plastikkopf saust schwungvoll auf den Uhrenkopf und schleudert ihn mit voller Wucht in ein Fangnetz.

15.000 Tests eines Drückers in der Chronometrie

Um anschließend Schwachstellen auf atomarer Ebene überprüfen zu können, steht sogar ein Rasterelektronenmikroskop zur Verfügung. Verschiedene Versuchsanordnungen dienen im Labor dem Test der Verschleißfestigkeit von Drückern, Kronen und Rotoren. Ein Drücker wird beispielsweise 15.000-mal betätigt, um seine Standfestigkeit zu testen. Danach muss sein Druckpunkt der gleiche sein. Eindrucksvoll sind auch die Aufnahmen der Hochgeschwindigkeitskamera. Sie machen mit 5.000 bis 20.000 Bildern je Sekunde deutlich, welche Kräfte auf die Spitze eines Chronographenzeigers bei der Rückstellung einwirken. Das menschliche Auge selbst kann nur 0,12 Sekunden auflösen. Auch eine chemische Forschungsabteilung ist in der Chronometrie angesiedelt. Sie ist mit einem Spektrometer zur Untersuchung der Öle ausgestattet. 

In einem B01 kommen ausschließich Öle und Fette  aus eigener Entwicklung zum Einsatz. Der dritte Stock dient der Fertigung der Kleinteile. Platinen und Brücken verlassen eine Fertigungsstrecke, die aus logistisch verknüpften Drei-Achsen-Maschinen besteht. Sie arbeiten auf den 3.000stel Millimeter genau. Die rund 30 Maschinen sind 24 Stunden am Tag in Betrieb und arbeiten vollautomatisch, die Anwesenheit der Bediener ist nur tagsüber erforderlich. Die Produktion erfolgt ölfrei. Die Kleinteile werden nur mit Wasser und Seife gewaschen und anschließend entgratet. Die verzahnten Räder hingegen werden von Spezialisten zugekauft.

Kontrolle unter 400-facher Vergrößerung

Im zweiten Stock findet eine spezialisierte Eingangskontrolle der Räder und beweglichen Teile statt. Unter einem Mikroskop kontrollieren ein Dutzend Mitarbeiter bei 400-facher Vergrößerung die Maßhaltigkeit und nehmen auch Härtemessungen des Materials vor. Die Einzelteile gelangen anschließend in ein Zwischenlager, das Vorräte für sechs bis zwölf Monate beherbergt. Die 346 Einzelteile des B01 werden in 76 Baugruppen vormontiert. Ein Automat setzt alle Rubine seitenrichtig in die Platine ein. Der Chronograph wird in sieben Arbeitsschritten von Hand vormontiert. Der Uhrmacher bekommt später so insgesamt 41 Bestandteile zur Werkmontagen an seinen Tisch. Das Erdgeschoss beherbergt den Protoypenbau. Diesem stehen Fünf- und Dreiachsenmaschinen zur Verfügung, ebenso Drahterosions- und Drehmaschinen.

Auch kleine Produktionsaufgaben lasten diesen Fuhrpark aus. So entstehen hier die fünfarmigen Unruhreifen für alle Werke außer dem B01. Die überwiegende Geschossfläche dient der Werkmontage. Rund 30 Arbeitsplätze sind in einem logistisch automatisierten Produktionssystem miteinander verknüpft. Ein Computer weiß zu jedem Zeitpunkt, an welcher Stelle sich das Werk befindet, da der Transport automatisch in kleinen Plastikhaltern erfolgt, die mit einem RFID-Chip gekennzeichnet sind.

Der Chronograph wird auch zum Chronometer

Die Durchlaufzeit beträgt in etwa vier Tage. Das ist allerdings nicht die Montagezeit. Die Dauer ergibt sich aus dem sequentiellen Arbeitsablauf. Denn zwischendurch wird kontrolliert und gemessen. Zunächst werden die Werke montiert, danach der Chronograph und danach der Kalender, ein freier Arbeitsplatz dient weiteren Komplikationen. Stimmt etwa das Zahnspiel eines Werkes nicht, geht es an einen Nacharbeitsplatz. Anschließend wird erneut kontrolliert. Erst im Anschluss erfolgt die vollautomatische Ölung. Das Werk wird auf Ganggenauigkeit überprüft. Bewegt es sich innerhalb der Norm, es geht zur COSC-Prüfung.

Zifferblätter und Zeiger werden in der Breitling Chronometrie montiert

Hat es diese bestanden und ist wieder in die Chronometrie zurückgekehrt, wird die Seriennummer eingraviert. Zunächst wird das Werk erneut kontrolliert, dann erfolgt die Montage des Zifferblattes und das Setzen der Zeiger. Besteht das Zeigerspiel einen weiteren Kontrolldurchgang, erfolgt der Einbau in das Gehäuse. Das Einschalen, wie es der Fachmann nennt. Anschließend erfolgt eine ästhetische Endkontrolle. Ist das Zifferblatt makellos, funktioniert der Chronograph auf Knopfdruck, erfolgt der Datumssprung zum richtigen Zeitpunkt – diese Details und viele andere Aspekte erfordern ein geschultes Auge. In etwa 40.000 Werke verlassen das Haus im Jahr, alle mit einer fünfjährigen Garantie versehen. Und auch ich verlasse die Chronometrie mit dem guten Gefühl, dass es höchste Zeit für diesen Besuch war.

 

 

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Breitling: Besuch in der Chronometrie
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Besuch in der Chronometrie von Breitling in La Chaux-de-Fonds. Hier entsteht das Chronographenkaliber B01. Von diesem Manufakturchronographen existieren mittlerweile zehn Varianten. Der Bericht führt durch Konstruktion, Forschung und Entwicklung bis hin zur Fertigung und Reglage.
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