Mit Tom Wanka unterwegs zu Besuch bei Mühle-Glashütte, Tutima, Wempe, Glashütte Original und A. Lange & Söhne

Das Müglitztal ist tief in das Erzgebirge eingeschnitten und das Städtchen Glashütte erweist sich darin als eine kleine Ansammlung an Gebäuden, die sich eng aneinanderschmiegen. Wie an einer Perlenschnur reihen sich daher die Uhrenmanufakturen entlang der sogenannten »Uhrenmeile« aneinander.

Die Leserreise Glashütte 2018

Die räumliche Nähe kommt nicht von ungefähr. Im Jahr 1845 machte sich Ferdinand Adolph Lange auf den Weg nach Glashütte. Es war die wirtschaftlich katastrophale Situation im Osterzgebirge, die ihn – gemeinsam mit seiner schwangeren Frau, der Tochter des Dresdener Hofuhrmachers Gutkaes, bei dem er in die Lehre gegangen war – zu dieser Reise bewegte. Im Gepäck hatte er die fortschrittliche Idee, dass nicht ein Uhrmacher viel Zeit mit der Fertigung einer Uhr verbringen sollte, sondern dass viele spezialisierte Uhrmacher arbeitsteilig gleich mehrere Uhren produzieren sollten. Mit dieser Verfahrensweise war er während seiner mehrjährigen Wanderschaft, die ihn unter anderem nach Paris und in die Schweiz geführt hatte, vertraut geworden. Und es war ihm gelungen, das sächsische Innenministerium zu überzeugen, ihn mit 6.700 Taler auszustatten, für die er die nötigen Werkzeuge anschaffte und sich zudem verpflichtet hatte, 15 Lehrlingen das Uhrmacherhandwerk beizubringen. Am 7. Dezember wurde der erste Auszubildende mit einer kleinen Zeremonie Willkommen geheißen. Der Tag gilt als der Beginn der legendären Glashütter Präzisionsuhrmacherei.

Nautische Instrumente Mühle-Glashütte

Doch so groß die räumliche Nähe auch ist, die einzelnen Marken wissen sich gut zu differenzieren. Unter dem Label »Made in Glashütte« eröffnet sich ein breit gefächertes Angebot, das sich vor Ort besonders schön begutachten lässt. Und so hatte ein Dutzend UHREN-MAGAZIN-Leser den Weg nach Glashütte gefunden. Ein erstes Kennenlernen am Vorabend im Sophienkeller des Taschenbergpalais, der geschichtsträchtigen und noblen Unterkunft für zwei Tage, sorgte dafür, dass sich in den komfortablen Chauffeur-Shuttles gespannte Neugierde auf die kommenden zwei Tage breit machten. Mit Hans-Jürgen Mühle, dem Gründer von Nautische Instrumente Mühle-Glashütte und seinem Sohn Thilo, dem heutigen Geschäftsführer, begrüßten uns zwei Familienmitglieder, die als Zeitzeugen für den Neubeginn der Glashütter Uhrenindustrie nach der Vereinigung Deutschlands stehen.

Der Ursprung liegt im Jahr 1869, als Robert Mühle eine Firma gründet, die Messinstrumente für die Uhrenindustrie fertigt. In den 1920er Jahren baut man Tachometer, Drehzahlmesser und Borduhren für die Autoindustrie. Mit dem Jahr 1945 erfolgt die Enteignung und Zerschlagung der Firma. Hans Mühle, ein Enkel, gründet ein neues Unternehmen. Dieses ist auf 60 Mitarbeiter angewachsen, als es Hans-Jürgen Mühle 1970 übernimmt. Zwei Jahre später findet er sich – nach der Verstaatlichung seines Betriebes – als sozialistischer Betriebsleiter in seiner eigenen Firma, nunmehr als Angestellter wieder. 1980 wird das Unternehmen in die VEB Glashütter Uhrenbetrieb (GUB) eingegliedert.

Doch es gelingt ein Neuanfang. Zunächst findet die Firma mit Schiffschronometern den Anschluss an den Weltmarkt, daher der Zusatz “Nautische Instrumente”. Als diese nicht mehr zur vorschriftsmäßigen Ausstattung der Seeschifffahrt gehören, sind es Schiffsuhrenanlagen wie zum Beispiel auf den Aida-Schiffen, welche die Existenz sichern. 1996 beginnt die Produktion von Armbanduhren. Diese verfügen mit der sogenannten Spechthalsregulierung über eine besondere robuste Feinstellung der Genauigkeit. Eine Eigenschaft, die besonders beim S.A.R. Rescue Timer gefragt ist, der auf Seenotrettungskreuzern zum Einsatz kommt. Verabschiedet werden wir mit einer Armbanduhr. Allerdings in wohlproportionierten Stücken, da sie aus einer köstlichen, eigens angefertigten Torte besteht.

Tutima

Das Jahr 1945 spielt auch bei unserer nächsten Uhrenmanufaktur Tutima eine einschneidende Rolle. Denn kurz vor der Bombardierung durch sowjetische Flieger am letzte Kriegstag gelingt mit Dr. Ernst Kurtz einer Persönlichkeit die Flucht nach Bayern, deren Bedeutung für die Glashütter Uhrenindustrie bis heute unterschätzt wird. Die Weltwirtschaftskrise der 1920er-Jahre hatte den Weltmarkt für die luxuriösen Taschenuhren Glashütter Prägung zum Erliegen gebracht. Den Trend zur Armbanduhr hatte man vor Ort komplett verschlafen.

Im Auftrag der sächsische Girozentrale unternahm es der Jurist Ernst Kurtz, mit dem Aufbau der UROF (Uhrenrohwerkefabrik) und UFAG (Uhrenfabrik Glashütte AG) den Einstieg in die industrielle Armbanduhrenfabrikation zu organisieren. Nach einiger Zeit wurde man gegen die Schweizer Konkurrenz wettbewerbsfähig und mit dem Kaliber 59 entstand der erste deutsche Chronograph mit Flyback-Funktion (damals Tempostopp genannt). Im obersten Stockwerk des ehemaligen Bahnverwaltergebäudes erläuterte uns Alexander Philipp, dass schon damals nur die besten Uhren mit dem Prädikat “Tutima” versehen wurden.

Die Firma wurde von Dr. Kurtz unter diesem Namen im norddeutschen Ganderkesee angesiedelt. Sie wird seit dessen Tod vom heutigen Inhaber Dieter Delecate weitergeführt und erlangte mit dem legendären Bundeswehrchronographen – bis heute offizieller NATO-Ausrüstungsgegenstand – einen guten Ruf bei Uhrenfreunden. Die Rückkehr nach Glashütte im Jahr 2011 ließ diese ebenfalls aufhorchen. Denn es ertönte mit der Hommage die erste Glashütter Armbanduhr mit Minutenrepetition.

Die anhaltende Verbundenheit mit dem Thema Fliegeruhr demonstriert demgegenüber die Neukonstruktion des Kalibers T659, dessen Aufbau sich an dem historischen UROFA Kaliber 59 orientiert. Mit dem Modell Tempostopp verfügt man über einen Manufaktuchronographen mit Additionszeitmessung. Er reiht sich in die Patria-Familie ein, welche die Kollektion mit Manufakturwerken und Edelmetallgehäusen nach oben abrundet. Gleichzeitig schlägt er die Brücke zu den historisch gehaltenen Fliegermodellen wie zu den modernen Sportuhren, für die Tutima heute unter Uhrenliebhabern bekannt ist.

Das Uhrenmuseum Glashütte bietet interessante Perspektiven.

Wempe Glashütte

Hoch oben auf dem Ochsenberg thront die Sternwarte von Glashütte. Sie wurde im Jahr 1910 von der Uhrmachervereinigung Urania in Betrieb genommen, um ein verbindliches Zeitsignal als Referenz zu erhalten. Ende der 1930er-Jahre gründeten Otto Lange, Enkel von Ferdinand A. Lange, und Herbert Wempe, Inhaber der Wempe Chronometerwerke, gemeinsam die Arbeitsgemeinschaft „Sternwarte Glashütte“, um eine Forschungs- und Ausbildungsstätte zu eröffnen.

Der Zweite Weltkrieg verhinderte das Projekt, die Alliierten lösten die Vereinigung auf und im geteilten Deutschland geriet die Sternwarte in Vergessenheit. Im Jahr 2005 erwarb Kim-Eva Wempe das völlig verwahrloste Gebäude. Heute erleben Besucher und natürlich die UHREN-MAGAZIN-Leser hier ein gepflegtes kleines Schmuckstück. Auf der großzügigen Terrasse begrüßte uns Gunter Teuscher vor der bereits zweimal erweiterten Produktionsstätte, in welcher die Zeitmeister- wie die Chronometerwerke-Kollektion von Wempe gefertigt werden. Auch die Ausbildung aller Wempe-Uhrmacher findet hier statt.

Das Teleskop in der Sternwarte, durch welches wir einen Blick auf die Sonnenkorona werfen durften, unterstreicht die Verbundenheit mit der Historie. Ganz gegenwärtige Aufgaben werden im Keller des Hauptgebäudes bewältigt. Hier befindet sich die einzige Chronometerprüfstelle Deutschlands. In großen, klimatisierten Geräteschränken werden alle Uhren zertifiziert, welche eine besondere Ganggenauigkeit attestiert bekommen möchten. Vor dem Besuch des Uhrenmuseums konnte die Gruppe ihr Mittagessen auf der Terrasse bei strahlendem Sonnenschein und mit Blick auf das mitten in Glashütte liegende Uhrenmuseum, das die nächste Besuchsstation ist, genießen.

Herzliche Begrüßung bei Wempe Glashütte auf der Sternwarte.

Deutsches Uhrenmuseum

Im Glashütter Uhrenmuseum, das in einer gemeinsam von Glashütte Original und der Stadt Glashütte betriebenen Stiftung organisiert ist, erläuterte uns Museumschef Reinhard Reichel zunächst die beeindruckende Standuhr, welche in der Eingangshalle steht. Dieses Kunstwerk zeigt außer der mitteleuropäischen Zeit auch Tage, Wochen, Monate und das Jahr an. Ablesen kann man auch Auf- und Untergang von Sonne und Mond über Mondzeiten, Sternbilder und Tierkreiszeichen. Sie steht symbolisch für die Glashütter Präzisionuhrmacherei wie für den international hohen Standard, der an der Glashütter Uhrmacherschule, in deren Räumlichkeiten das Museum sich befindet.

Die am 1. Mai 1878 eröffnete Schule wurde bis 1951 betrieben. Diesem Zeitraum ist aktuell eine Sonderausstellung gewidmet, deren Besuch am Beginn der Führung stand. Diese führt chronologisch durch die anschauliche Sammlung. Sie beginnt mit der Ortschaft Glashütte und den ersten uhrmacherischen Schritten, über die Hochzeit der Präzisionuhrmacherei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bis hin zu den Schwierigkeiten durch die Weltwirtschaftskrise und den Aufstieg der industriell gefertigten Armbanduhr.

Die Kriegswirtschaft und die anschließenden Reparationsleistungen werden ebenso anschaulich dargestellt wie die Verstaatlichung aller Firmen und die Zusammenfassung in die VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB). In den Folgejahren entstanden hier beispielsweise auch unter dem Namen Meisteranker mechanische Armbanduhren, vorwiegend für den Vertrieb über den Quelle-Katalog. Dies sicherte die dringend benötigten Devisen wie auch den späteren Neuanfang der Glashütter Uhrmacherei als Luxusgut, da die feinmechanischen und uhrmacherischen Fähigkeiten dadurch nicht – anders als im Westen durch die Quarzkrise – verloren gingen.

Die Manufaktur Glashütte Original war Besuchspunkt am zweiten Tag der Reise.

Die Manufaktur Glashütte Original war Besuchspunkt am zweiten Tag der Reise.

 

Glashütte Original

Nach einem fröhlichen und kommunikationsfreudigen Abendessen im Taschenbergpalais, begleitet von Gästen aller besuchten Manufakturen, stand die Leserreise pünktlich im Empfangsraum mit dem eindrucksvollen Atrium von Glashütte Original. Deren frisch ernannter CEO, Roland von Keith, stand den Teilnehmern nach einer kurzen Begrüßung persönlich für Fragen zur Verfügung und leistete ihr auch beim Mittagessen und der daran anschließenden Präsentation der aktuellen Kollektion Gesellschaft.

Doch bis dahin demonstrierten uns Michael Hammer und Elvira Rühlemann in zwei getrennten Gruppen die enorme Fertigungstiefe und das hohe handwerkliche Niveau, welche Glashütte Original auszeichnen. Wie anspruchsvoll diese Tätigkeiten sind, erfahren die Teilnehmer, als sie selbst dazu aufgefordert waren, Schrauben zu bläuen oder winzige goldene Masseschräubchen in einen Unruhreifen zu drehen. Die Manufaktur Glashütte Original ist der rechtliche Nachfolger der GUB und aller darin aufgegangener Uhrenfirmen.

Die Fertigungstiefe, einst der sozialistischen Autonomiebestrebungen geschuldet, erweist sich heute als Segen, weil kleine Stückzahlen sowie die Komponenten komplexer Konstruktionen hier selbst angefertigt werden können. Entscheidend trägt auch der Werkzeugbau dazu bei, denn die notwendigen Halterungen und Zuführungen werden ebenfalls im Haus konstruiert und gefertigt. Neben fliegend gelagerten Tourbillons, einer in Glashütte von Alfred Helwig konstruierten Komplikation, bei welcher der Drehkäfig nur einseitig gelagert wird, demonstriert auch der Senator Cosmopolite, welches uhrmacherische Können hier beheimatet ist.

Die Uhr mit automatischem Werk besitzt neben einem Panoramadatum die Anzeige einer zweiten Zeitzone, welche auch halbstündige oder viertelstündige Abweichungen von bis zu 35 Zeitzonen indizieren, inklusive der Angabe von Sommer- oder Winterzeit.

Beeindruckt zog die Gruppe die wenigen hundert Meter weiter, wo eine Brücke über die Altenberger Straße die beiden Gebäude miteinander verbindet, die das letzte Ziel der Leserreise waren.

A. Lange & Söhne

Die Bronzebüste von Ferdinand Adolph Lange steht auf einem Marmorsockel im Empfangsbereich von A. Lange & Söhne. Tino Bobe, den Lesern schon vom Vorabend bekannt, begrüßte sie jetzt zur Besichtigung, welche Katrin Meusinger und Christian Fischer durch die Manufaktur leiteten. Zunächst ging es in die Finissage, in der alle Komponenten in liebevoller Handarbeit angliert und poliert werden. Die Streifenschliffe und Perlagen dienen ausschließlich ästhetischen Gründen und sind teilweise im fertigen Werk von außen nicht mehr sichtbar.

Alle Werke von A. Lange & Söhne werden zweimal assembliert. Im ersten Durchgang wird dabei überprüft, ob die Einzelteile alle zusammen arbeiten, das Werk wird eingestellt. Funktioniert alles wie gewünscht, wird es wieder zerlegt und alle Komponenten finissiert. Bei der zweiten Montage ist die Gefahr geringer, dass die aufwändigen Verzierungen Schaden nehmen. dazu gehören auch die von Hand gravierten Unruhkloben, die jede Armbanduhr von A. Lange & Söhne auszeichnen. Dafür führt der Weg über die Brücke in die 2015 durch Angela Merkel eröffnete Manufaktur.

Hier sind Schuhüberzüge und antistatische Uhrmacherkittel auch für Besucher Pflicht. Die Träger einer Lange-Uhr unter den Teilnehmern erwartete eine besondere Überraschung. Nach einem Blick mit dem Mikroskop durch eine Graveurin, verriet Ihnen diese, von welchem Graveur der Unruhkloben einst verziert wurde. Ein kleine Broschüre mit dem Porträt des Graveurs und einer Abbildung seines typischen Gravierstils rundete dieses Erlebnis ab. In den beiden Ateliers gaben die Uhrmacher anschaulich Zeugnis von ihrer Arbeit. Unter anderem die nur unter dem Mikroskop erkennbare Filigranität des Antriebes über Kette und Schnecke oder über den hohen konstruktiven Aufwand, im Modell Zeitwerk die zur vollen Stunden rotierenden drei Scheiben der digitalen Zeitanzeige durch einen winzigen Windfang unter einem Zahnrädchen auf ein vertretbares Maß herunter zu regeln.

Weiter ging es in das Stammhaus von A. Lange & Söhne. Hier erwartete die Gruppe nicht nur Kaffee, Kuchen und ein Champagner, sondern auch die gesamte aktuell verfügbare Kollektion. Nach Herzenslust durften die Leser, behandschuhte Hände vorausgesetzt, die Modelle der fünf Produktfamilien von ihren Tabletts nehmen. Während die anerkennenden Kommentare von Tischseite zu Tischseite flogen, musste Bettina Rost, die die Reise wie immer umsichtig organisiert und charmant begleitet hatte, zum Aufbruch mahnen. Denn die Limousinen warteten bereits, um die Gäste der Leserreise wieder nach Dresden zu bringen. Der Abschied voneinander wurde dadurch erleichtert, dass man sich versicherte, bei einer der nächsten Leserreisen wieder dabei zu sein. Wer Glashütte einmal selbst besuchen möchte, der kann sich hier über die Uhren-Magazin-Leserreise vom 14. bis 15. September 2020 nach Glashütte informieren.

In Glashütte schlägt das Herz der Deutschen Uhrenindustrie – eine Leserreise führt einen direkt an den Pulsschlag. Gerne begleite ich Sie auch in diesem und dem kommenden Jahr nach Glashütte oder nach Genf und das angrenzende Jura.

 

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